OT-Cybersecurity und Penetration Testing in der Schweiz: Schutz kritischer Infrastrukturen

Die Digitalisierung der industriellen Landschaft in der Schweiz schreitet unaufhaltsam voran. Während sich Unternehmen zunehmend auf vernetzte Systeme und das Internet der Dinge (IoT) verlassen, wächst auch die Angriffsfläche für Cyberkriminelle exponentiell. Besonders betroffen sind dabei Operational Technology (OT) Systeme – die technologischen Grundpfeiler kritischer Infrastrukturen wie Energieversorgung, Wasserwerke, Transportwesen und Produktionsanlagen.

Was ist OT-Cybersecurity?

Operational Technology umfasst Hard- und Software, die zur Überwachung, Steuerung und Automatisierung industrieller Prozesse eingesetzt wird. Im Gegensatz zur klassischen IT, die sich hauptsächlich mit Datenverarbeitung beschäftigt, steuert OT physische Prozesse und Maschinen in Echtzeit. Diese Systeme waren traditionell isoliert („Air Gap“), werden aber zunehmend mit IT-Netzwerken und dem Internet verbunden, um Effizienz und Fernüberwachung zu ermöglichen.

Diese Konvergenz von IT und OT bringt jedoch erhebliche Sicherheitsrisiken mit sich:

  • Legacy-Systeme: Viele OT-Komponenten wurden ohne Sicherheitsaspekte entwickelt
  • Fehlende Updates: Kritische Systeme können oft nicht einfach gepatcht werden
  • Unzureichende Segmentierung: Mangelnde Netzwerktrennung zwischen IT und OT
  • Schwache Authentifizierung: Standard-Passwörter und fehlende Zwei-Faktor-Authentifizierung

Die Schweizer Bedrohungslandschaft

Die Schweiz ist als hochentwickeltes Industrieland besonders attraktiv für Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen. Das Nationale Zentrum für Cybersicherheit (NCSC) berichtet von einer stetig steigenden Anzahl von Angriffen auf OT-Systeme. Besonders besorgniserregend sind:

Ransomware-Angriffe auf Industrieanlagen

Ransomware-Gruppen haben OT-Systeme als lukrative Ziele entdeckt. Ein erfolgreicher Angriff auf eine Produktionsanlage kann zu tagelangen Ausfällen und Millionenschäden führen. In der Schweiz waren bereits mehrere Industrieunternehmen betroffen, wobei Lösegeldforderungen in Millionenhöhe gestellt wurden.

Staatlich gesponserte Aktivitäten

Advanced Persistent Threat (APT) Gruppen zielen auf strategisch wichtige Infrastrukturen ab. Diese hochsophistizierten Angriffe können jahrelang unentdeckt bleiben und dienen der Spionage oder der Vorbereitung für Sabotageakte.

Supply-Chain-Angriffe

Angreifer nutzen vertrauenswürdige Lieferanten als Eingangstor in OT-Netzwerke. Kompromittierte Software-Updates oder Hardware-Komponenten können weitreichende Folgen haben.Penetration Testing für OT-Systeme

Penetration Testing ist eine der effektivsten Methoden, um Schwachstellen in OT-Umgebungen zu identifizieren, bevor sie von Angreifern ausgenutzt werden können. Im OT-Bereich unterscheidet sich Penetration Testing jedoch erheblich von klassischen IT-Penetrationstests:

Besondere Herausforderungen im OT-Pentesting

Sicherheit geht vor Verfügbarkeit: Im Gegensatz zur IT, wo Verfügbarkeit oft Priorität hat, ist bei OT-Systemen die Sicherheit der physischen Prozesse oberstes Gebot. Ein fehlgeschlagener Penetrationstest könnte zu Produktionsausfällen oder sogar Sicherheitsrisiken für Mitarbeiter führen.

Legacy-Systeme und Protokolle: Viele OT-Umgebungen nutzen jahrzehntealte Systeme und industrielle Protokolle wie Modbus, DNP3, oder Profinet, die ursprünglich ohne Sicherheitsaspekte entwickelt wurden.

Spezialisiertes Know-how erforderlich: OT-Penetrationstester benötigen tiefes Verständnis für industrielle Prozesse, SCADA-Systeme und SPS-Programmierung.

Methodik des OT-Penetration Testing

  1. Asset Discovery und Netzwerk-Mapping
  • Identifikation aller OT-Komponenten
  • Netzwerktopologie-Analyse
  • Protokoll-Analyse (Modbus, DNP3, etc.)
  1. Vulnerability Assessment
  • Schwachstellen-Scanning mit OT-spezifischen Tools
  • Firmware-Analyse
  • Konfigurationsprüfung
  1. Kontrollierter Exploit
  • Vorsichtige Ausnutzung identifizierter Schwachstellen
  • Simulation von Angriffen ohne Betriebsstörungen
  • Dokumentation der Auswirkungen
  1. Reporting und Empfehlungen
  • Priorisierte Schwachstellenliste
  • Konkrete Abhilfemaßnahmen
  • Notfallpläne und Incident Response

Rechtliche Rahmenbedingungen in der Schweiz

Die Schweiz hat in den letzten Jahren ihre Cybersecurity-Gesetzgebung erheblich verschärft. Besonders relevant für OT-Sicherheit sind:

Das neue Datenschutzgesetz (nDSG)

Seit September 2023 in Kraft, erhöht das nDSG die Anforderungen an den Schutz personenbezogener Daten erheblich. OT-Systeme, die Mitarbeiterdaten verarbeiten, müssen entsprechende Sicherheitsmaßnahmen implementieren.

Kritische Infrastrukturen Schutz-Verordnung

Betreiber kritischer Infrastrukturen müssen angemessene Cybersecurity-Maßnahmen implementieren und Sicherheitsvorfälle melden. Dies umfasst auch OT-Systeme in Energieversorgung, Transport und anderen strategischen Sektoren.

Branchenspezifische Regulierungen

  • Energiesektor: StromVG und EnG verlangen Cybersecurity-Maßnahmen
  • Finanzsektor: FINMA-Rundschreiben zu Cyberrisiken
  • Gesundheitswesen: Medizinprodukteverordnung mit Cybersecurity-Anforderungen

Best Practices für OT-Cybersecurity

Netzwerksegmentierung

Die strikte Trennung von IT- und OT-Netzwerken durch Firewalls und DMZ ist fundamental. Industrial Demilitarized Zones (IDMZ) ermöglichen kontrollierten Datenaustausch zwischen den Bereichen.

Zero Trust Architektur

Das Prinzip „Never trust, always verify“ gewinnt auch im OT-Bereich an Bedeutung. Jeder Zugriff muss authentifiziert und autorisiert werden, unabhängig von der Netzwerkposition.

Kontinuierliches Monitoring

SIEM-Systeme speziell für OT-Umgebungen ermöglichen die Erkennung abnormaler Aktivitäten in Echtzeit. Anomalie-Detection und Behavioral Analysis sind dabei zentrale Technologien.

Incident Response Planning

Speziell für OT-Umgebungen entwickelte Notfallpläne müssen sowohl Cybersecurity-Aspekte als auch die Sicherheit der physischen Prozesse berücksichtigen.

Fazit: Die Zukunft der OT-Cybersecurity in der Schweiz

Die zunehmende Vernetzung industrieller Systeme macht OT-Cybersecurity zu einer der wichtigsten Herausforderungen für Schweizer Unternehmen. Penetration Testing spielt dabei eine Schlüsselrolle bei der proaktiven Identifikation und Behebung von Schwachstellen.

Unternehmen sollten einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, der technische Maßnahmen, organisatorische Prozesse und die Schulung von Mitarbeitern umfasst. Die Zusammenarbeit mit spezialisierten OT-Cybersecurity-Experten wird dabei immer wichtiger, um den steigenden Bedrohungen effektiv zu begegnen.

Die Investition in OT-Cybersecurity ist nicht nur eine Frage der Compliance, sondern essentiell für die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit und den Schutz kritischer Infrastrukturen in der digitalisierten Schweizer Wirtschaft.